Frankreichs Justiz soll digitaler, bürgernäher und effizienter werden
Mit der am 20. April 2018 von Justizministerin Nicole Belloubet im Ministerrat eingebrachten Gesetzesvorlage will Frankreich sein Justizsystem grundlegend reformieren, um es bürgernäher, einfacher und effektiver zu machen.
Dabei geht es um die Vereinfachung des Zivilrechts und der Strafprozessordnung, die Anpassung der Gerichts- und Organisationsstrukturen an die heutigen Herausforderungen, ein besseres und nachhaltigeres Strafverständnis sowie einen passgenaueren Umgang mit minderjährigen Straftätern. Neben diesen inhaltlichen Orientierungen soll die Digitalisierung der Justiz massiv vorangetrieben werden.
Zur Umsetzung der Reform werden von 2018 bis 2022 6.500 Stellen geschaffen und die Ausgaben werden um 1,6 Mrd. € (+24 %) steigen, davon gehen allein 530 Mio. € in die
Digitalisierung.
1 .Vereinfachung des Zivilrechts
Bürger und Justiz sollen durch neue Formen der Rechtsfindung entlastet werden. Hierzu gehören:
Formen gütlicher Einigung bei Rechtsstreitigkeiten;
ein einheitliches zivilrechtliches Klageverfahren (statt bisher fünf);
vereinfachte und beschleunigte Scheidungsverfahren durch die Abschaffung der Vermittlungsfrist bei nicht einvernehmlichen Scheidungen;
vereinfachte Betreuung von unmündigen bzw. zeitweise unmündigen Erwachsenen etwa durch den Verzicht auf Verifizierung von Einkünften bei wenig Begüterten;
einheitliche Verwaltung des Fonds für Gehaltspfändungen über die Caisse des dépôts et consignations (vergleichbar mit der deutschen KFW);
Verbesserung des Schutzes von Justiziablen durch die Ausweitung der Anwaltspflicht bei komplexen Streitfällen;
Beilegung kleinerer Streitfälle des Alltags durch digitale Prozeduren;
Schaffung einer zentralen Stelle zur digitalen Eintreibung von Zahlungsaufforderungen;
Entlastung der Gerichtsbarkeit von Aufgaben, bei denen kein Rechtsstreit vorliegt;
Beschleunigte Unterhaltsverfahren.
2. Vereinfachung der Strafprozessordnung
Mit einem vereinfachten Verfahren sollen Bürger gerechter behandelt und die Justiz entlastet werden. Hierzu gehören:
die Digitalisierung der Verfahren bei Strafanzeigen und Nebenklagen;
eine verstärkte Opferorientierung;
die Beschleunigung der Ermittlungen und schnellere Entscheidungen bei allen Formen der Alltagskriminalität;
die Ausweitung von Pauschalstrafen (wie beim Fahren ohne Versicherungsschutz) auf weitere Delikte (z.B. Drogenbesitz und -konsum);
die Entlastung der Strafprozesse von unnützen Formalitäten;
vereinfachte Beweiserhebungsverfahren;
vereinfachte, nicht mehr regional begrenzte Fahndungsmodalitäten für Kriminalbeamte;
die Erprobung von Kriminalgerichten auf Departementebene mit fünf Staatsanwälten innerhalb des Strafrahmens von 15-20 Jahre Gefängnis.
3. Effizienzsteigerung der Verwaltungsgerichtsbarkeit
Mit folgenden Maßnahmen sollen Justizentscheidungen schneller herbeigeführt und umgesetzt werden:
durch die Ernennung von ehrenamtlich tätigen Magistraten;
durch die Einstellung von Justizfachangestellten;
durch die beschleunigte Umsetzung von Gerichtsentscheidungen.
4. Eine abgestufte Bestrafung
Die Bestrafungen sollen zielgerichteter ausgesprochen und zeitnah umgesetzt werden. Hierzu wird die Freilassung mit Auflagen eingeführt und die Verurteilung zu gemeinnützigen Arbeiten ausgeweitet.
Eine neue abgestufte Skala von Strafen ordnet das Verhältnis von Bestrafung und Haftdauer neu. Dazu:
werden Haftstrafen bis zu einem Monat abgeschafft;
werden Haftstrafen bis zu einer Dauer von 6 Monaten außerhalb von Gefängnissen abgeleistet (in der eigenen Wohnung mit elektronischer Fessel, in einer bewachten Einrichtung mit Freigang oder in einem Heim in freier Trägerschaft);
kann der Richter bei Strafen von 6 Monaten bis zu einem Jahr entscheiden, ob er eine Haftstrafe in einer geschlossenen Anstalt anordnet oder eine Bewegungseinschränkung mittels einer elektronischen Fessel;
ziehen darüber hinausgehende Bestrafungen automatisch eine Haft ohne Erleichterungen nach sich;
wird eine einheitliche Regelung für die Ableistung von Bildungs- und Integrationskursen geschaffen, die die Gerichte auf vereinfachtem Wege anwenden können.
5. Betreuung minderjähriger Gesetzesbrecher
Die Betreuung minderjähriger Straftäter wird diversifiziert:
Der Übergang aus geschlossenen Jugendeinrichtungen in andere Resozialisierungseinrichtungen (offene Jugendanstalten, Gastfamilien, Heime etc.) erfolgt abgestuft.
Probeweise werden Tageseinrichtungen geschaffen, in denen Straftäter, abhängig von ihrer persönlichen, familiären und schulischen Situation täglich intensiv betreut werden.
6. Reorganisation der Justizverwaltung
Zur Effektivitätssteigerung wird die Gerichtsorganisation optimiert.
Die erste und zweite Instanz der Zivilgerichtsbarkeit (Landesgericht und Oberlandesgericht) werden verschmolzen. In Departements mit mehreren Gerichtsstandorten kann so der Entstehung von Kammern nach Sachgebieten Vorschub geleistet werden.
Es werden neue Formen der übergreifenden Verwaltung von Berufungsgerichten erprobt. Dies soll eine stärkere Spezialisierung von Gerichten ermöglichen.